An(ge)dacht

Liebe Gemeinde,

Nah und fern. Nun ist der Herbst gekommen und für viele liegt der Sommerurlaub schon ein ganzes Stück zurück. Manche wird es dabei in die Ferne gezogen haben. Gerade in den Sommern der Coronazeit haben wir auch entdeckt, welche besuchenswerte Schätze in unserer Nähe liegen. Und wenn vor dem Urlaubsstart vielleicht das Fernweh überwiegte, mag sich nach einigen Tagen auch wieder Heimweh eingestellt haben. Wir erleben in der Urlaubszeit die Spanne zwischen dem gut Gewohnten und dem offenen Blick für Neues.

Vielleicht hat sich dabei der Gedanke von Mark Twain verwirklicht. Er hat in seinem Reisebericht: „Die Arglosen im Ausland“ dies geschrieben: „Reisen ist für Vorurteile, Bigotterie und Engherzigkeit lebensgefährlich, und viele unserer Leute benötigen es aus diesem Grunde dringend.“ Das wäre doch gut, wenn Reisen uns von dem heilt, was uns allzu leicht zu Vorurteilen, einer gewissen Scheinheiligkeit und mancher Engherzigkeit neigen lässt.

Denn mit solchen Eigenschaften verlieren wir uns selbst und spüren vielleicht auch nichts mehr von der Menschenliebe, die uns von Gott her in Herz gelegt wird. Und so wird uns Gott selbst fern. Das muss nicht sein. Aber Gott selbst warnt uns davor. Diese Warnung steht als Monatsspruch über dem September: „Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist?“ (Jeremia 23,23)

Das heißt nicht, dass sich Gott uns willkürlich und aus reinen Machtgelüsten entzieht und in die Ferne rückt. Aber er lässt dies geschehen und nimmt uns damit ernst, wenn wir uns seiner Nähe entziehen. Und das tun wir, wenn wir uns Herz engmachen. Das tun wir, wenn in allen gesellschaftlichen Fragen und Problemen, die zu einfache Lösung suchen und unsere Stimme denen geben, die erkennbar Menschgruppen ausgrenzen und auf sie herabsehen.

Gott will anderes für uns. Er will uns nahe sein, egal, wo wir uns gerade befinden; ob in der nahen Heimat oder auf fernen Reisen. Er sieht, wenn bei uns etwas schiefläuft. Er ist ganz nahe bei allen, die sich verletzt oder ausgegrenzt fühlen. Gott ist nahe bei allen, die verletzt sind von selbsterfahrener oder beobachteter Ungerechtigkeit, verletzt von gescheiterten Beziehungen oder von zerstörten Plänen. Und solche Menschen sind auch wir immer wieder. So ist Gott nahe bei uns. Von sich aus. Darin vergewissert uns der Monatsspruch im August: „Der Herr heilt, die zerbrochenen Herzens sind, und verbindet ihre Wunden.“ (Psalm 147,3)

Nur uns passiert es, dass wir das nicht merken, wir uns lieblos verhalten und in Vorurteile, Scheinheiligkeit und Engherzigkeit verfallen. Kein Wunder, dass Gott in solchem Verhalten nicht zu finden ist.

Nah und fern. Das kann ein Spiel mit den möglichen Erfahrungen sein, wenn wir auf Reisen gehen. In der Ferne lässt sich Neues und Anregendes erleben. Und in der Nähe können wir viel Vertrautes genießen und uns als heimatverbunden erleben. Eine Heimat, in die sich Gott für uns gern hineinbegibt, wenn wir es wollen. Und er geht auch mit uns auf Reisen und bleibt nah auch dort bei allen Abenteuern und in allen ungewohnten Begegnungen, die sich da ergeben. Es liegt an uns, ihn bei uns zu halten – in der Heimat und in der Ferne. Und hier oder da, wenn sich der Regenbogen über den Himmel zieht, wird Gottes Bund mit uns Menschen sichtbar. Daraus kann dann ein Urlaubsfoto werden oder ein neuer Blick auf unser Zuhause.

Ich wünsche uns, dass wir Ferne nur auf unseren Reisen erleben; dass die Nähe Gottes an jedem Ort, an dem wir gerade sind, spürbar bleibt und wir selbst nahe an den Menschen bleiben – seien sie fern oder uns unmittelbar anvertraut.

Pfarrer Cornelius Epperlein

Monatsspruch November

Wir warten aber
auf einen neuen Himmel
und eine neue Erde
nach seiner Verheißung,
in denen Gerechtigkeit wohnt.

2. Petrusbrief 3,13

 

Titel KiNa 157